von Johanna von der Waydbrink
erschienen in Kulturpolitische Mitteilungen Nr. 187 (2024): 38f.
Inklusionsentwicklung als Querschnittsaufgabe
Inklusionsentwicklung als Querschnittsaufgabe
Die Servicestelle Inklusion im Kulturbereich des Landesverbandes Soziokultur Sachsen e.V.
Die Servicestelle Inklusion im Kulturbereich des Landesverbandes Soziokultur Sachsen e.V. setzt sich für die Repräsentanz von Künstler*innen mit Behinderung und eine inklusionsorientierte Kulturarbeit in Sachsen ein und unterstützt Akteur*innen aus Kulturpraxis, -verwaltung und -politik bei der Umsetzung dieser Aufgabe.
Die Arbeit orientiert sich dabei an einem menschenrechtlichen Verständnis von Inklusion. Entsprechend sind alle gesellschaftlichen Bereiche gefragt sind, Strukturen und Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass alle Menschen von vornherein als Teil der Gesellschaft geachtet sind – unabhängig von individuellen Behinderungen oder Fähigkeiten. Diese rechtliche Verpflichtung gilt auch für den Kulturbereich. Im Artikel 30 der UN-BRK wird das Recht auf kulturelle Teilhabe konkretisiert, und zwar sowohl für Gäste als auch für Künstler*innen mit Behin derung. In erster Linie bedeutet dies anzuerkennen, dass weite Teile des Kulturbereiches Menschen mit Behinderung benachteiligen, denn Arbeits-, Produktions-
und (Re)Präsentationsprozesse werden in langer Tradition aus nicht-behinderter Perspektive gestaltet (Stichwort: Ableismus).
Es müssen auf unterschiedlichen Ebenen Veränderungsprozesse angeschoben werden. Dazu ist die Servicestelle in drei zentralen Handlungsfeldern aktiv:
1. Wissensvermittlung und inklusionsorientierte Organisationsentwicklung in Kultureinrichtungen
Die Servicestelle unterstützt Vertreter*innen von Kultureinrichtungen und -projekten bei der Umsetzung einer inklusionsorientierten Kulturarbeit in ihren Häusern. Neben der konkreten Wissensvermittlung z.B. zur Umsetzung von Barrierefreiheit geht es vor allem darum, deutlich zu machen, dass Inklusion eine organisationsübergreifende Aufgabe ist, die nicht von einer einzelnen Person oder Abteilung umgesetzt werden kann. Inklusion wird in Kultureinrichtungen nach wie vor oft als »on top« und weniger als Querschnittsaufgabe verstanden. Das bedeutet, dass in vielen Fällen Inklusion eher projekt- und drittmittelbasiert und weniger als Teil einer Organisationsstrategie umgesetzt wird. Das zeigt sich auch in den Haushalten, in denen selten Mittel für die Umsetzung inklusiver Vorhaben eingeplant sind. Diese Strategie ist insbesondere angesichts der aktuellen finanziellen Lage in vielen Kulturbetrieben fatal. Denn es bedeutet, dass das Tagesgeschäft Priorität hat, und damit rutscht die Umsetzung von Inklusion oft von der Agenda. Hier hat die Leitungsebene eine Schlüsselfunktion. Sie muss dafür sorgen, dass alle Abteilungen im Boot sind und für die Umsetzung in ihren Bereichen auch Ressourcen wie z.B. Arbeitszeit, Weiterbildungsmöglichkeiten sowie Gelder zur Verfügung stehen.
Um diese umfassende Inklusionsentwicklung in Kulturbetrieben zu forcieren, bietet die Servicestelle neben Weiterbildungen und Beratungen auch Inhouse-Schulungen für Teams sowie Prozessbegleitungen an. Das hat einerseits den Vorteil, dass Kompetenzen und Wissen teamübergreifend vermittelt werden können und andererseits, dass die Kultureinrichtung über einen längeren Zeitraum regelmäßig begleitet wird und daran gearbeitet werden kann, die inklusive Ausrichtung in den Routinen des Kulturbetriebes zu verankern.
2. Empowerment von Künstlerinnen und Kulturakteurinnen mit Behinderung
Die Repräsentanz und Mitwirkung von Künstler*innen mit Behinderung im Kulturbereich ist nach wie vor ausbaufähig. Künstlerische Positionen behinderter Künstler*innen werden oft nur im Kontext expliziter Inklusionsthemen angefragt und gezeigt, Kulturvertreter*innen fehlen das Wissen über Kunst behinderter Künstler*innen sowie Kontakte zu Künstler*innen mit Behinderung. Darüber hinaus wissen Kultureinrichtungen wenig über die Bedarfe von Künstler*innen mit Behinderung, haben kaum Erfahrung in der Zusammenarbeit und Prozesse, Arbeits- und Produktionsabläufe sind mehrheitlich auf nicht-behinderte Künstler*innen ausgerichtet. So erschwert bspw. die fehlende Berücksichtigung von Extra-Zeiten (Crip Time) im Kulturbetrieb, die Menschen mit Behinderung für den Umgang mit Barrieren oder Pflege-, Reha- oder Regeneration benötigen, die künstlerische Tätigkeit. Auch die Beantragung staatlicher Leistungen, wie etwa »Arbeitsassistenz«, erweisen sich als sehr arbeitsintensiv, bürokratisch und teilweise entwürdigend. Darüber hinaus verfügen Künstler*innen oft nicht über genügend Ressourcen, Wissen und Kapazitäten, ihre Rechte auf Teilhabe umzusetzen bzw. einzufordern.
Für die Servicestelle ist deshalb die Unterstützung von Künstler*innen und Kulturakteur*innen ein wichtiges Handlungsfeld. Bereits seit 2019 organisiert die Servicestelle in Kooperation mit der Koordinierungsstelle Chancengleichheit Sachsen den »Runden Tisch für Künstler*innen und Kulturakteur*innen mit Behinderung und chronischen Erkrankungen«. Die Treffen finden mehrmals im Jahr statt und bieten einen geschützten Rahmen für informellen Austausch und um über die eigene künstlerische Arbeit zu sprechen. Darüber hinaus gibt es verschiedene Empowermentformate, in denen insbesondere Fragen der Professionalisierung und Selbstvermarktung, aber auch Strategien im Umgang mit Diskriminierung besprochen sowie Wissen in Bezug auf Teilhabeleistungen vermittelt werden.
3. Verbesserung der Rahmenbedingungen zur Forderung und Förderung inklusiver Kulturarbeit
Inklusion ist in kulturpolitischen Entwicklungsstrategien selten als Auftrag verankert. Es fehlen konkrete Ziele, Maßnahmen und Zeitpläne sowie die Bereitstellung zusätzlicher Mittel zur Finanzierung von Barrierefreiheit, aber auch zeitlichem Mehraufwand (Crip Time). Auch Förderprogramme sind oftmals nicht inklusiv ausgerichtet, Jurys und Gremien sind einseitig besetzt und die Antragsverfahren nicht barrierefrei. Werden diese strukturellen Problemlagen nicht aktiv adressiert, besteht die Gefahr, dass die Umsetzung von Inklusion auf einer rein symbolischen Ebene bleibt. Dann setzt sich fort, dass nur diejenigen teilhaben, die aufgrund ihrer physischen und psychischen Verfasstheit und ihrer überdurchschnittlichen Kompensationsfähigkeit im Umgang mit ausschließenden Strukturen dazu in der Lage sind.
Die Servicestelle bietet deshalb auch Unterstützung für Kulturverwaltungen an, z.B. bei der Fortschreibung von Kulturentwicklungsplänen oder kommunalen bzw. landesweiten Teilhabe- und Aktionsplänen zur Umsetzung der UN-BRK. Darüber hinaus formuliert sie regelmäßig Forderungen und Empfehlungen für eine inklusionsorientierte Kulturpolitik und entwickelt Handreichungen zur Weiterentwicklung inklusiver und barrierefreier Förderprogramme.
Anfangs als Projekt gefördert, wird die Servicestelle inzwischen mit insgesamt 75 Wochenstunden seit 2021 im Rahmen der institutionellen Förderung des Landesverband Soziokultur Sachsen e.V. durch das Sächsische Staatsministerium für Wissenschaft, Kultur und Tourismus gefördert.
Markéta Stránská präsentiert ihre Tanz-Performance »FLY!«
beim Symposium »Die Unbekannten. Symposium zur Repräsentation von Behinderung in der Kunst«,
organisiert von der Servicestelle Inklusion im Kulturbereich, am 4. Dezember 2024 im Albertinum,
Dresden; Foto: André Wirsig