Demografie: Veranstaltungen
Entwicklungsperspektive Ländlicher Raum
Im Rahmen des von der Sächsischen Staatskanzlei geförderten Forschungsprojektes „Entwicklungsperspektive Ländlicher Raum“ fand eine Abschlusskonferenz des Projektes am 27.11.2015 in den Räumen des Steinhaus e.V. in Bautzen statt.
Thema der Konferenz war der demografische Wandel in Ostsachsen (Landkreise Bautzen und Görlitz) und dessen Auswirkungen auf die Handlungsfelder Ausbildungs- und Arbeitsmarkt sowie Jugendhilfe. Neben der Präsentation der Forschungsergebnisse des Projektes gab es zudem Vorträge von Prof. Dr. Andreas Hoff (Hochschule Zittau/Görlitz) und Dr. Albrecht Göschel (Freiberuflicher Soziologe).
Eröffnungsrede Konferenz „Entwicklungsperspektive Ländlicher Raum“ am 27.11.2016 im Steinhaus e.V. in Bautzen Anne Pallas; Geschäftsführerin Landesverband Soziokultur Sachsen e. V. Sehr geehrte Damen und Herren, ich begrüße Sie ganz herzlich hier im Steinhaus Bautzen zur Konferenz „Entwicklungsperspektive ländlicher Raum“. Mein Name ist Anne Pallas. Ich bin Geschäftsführerin des Landesverbandes Soziokultur Sachsen e.V. und werde Sie bis heute Nachmittag durch den Tag führen - und zuvor in das Thema einführen. Ländlicher Raum? Demografischer Wandel? Warum ist dies überhaupt ein Thema und warum ist es ein Thema der Soziokultur? „Wir werden kleiner, klüger und kooperativer“ hat Christian Schramm Präsident des Kultursenats und Oberbürgermeister a.D. vor zwei Jahren auf einer Tagung festgestellt. Der Titel seines Vortrags „Der Mensch geht - Der Wolf kommt“ war mit einem Augenzwinkern zu lesen und zeigte doch an, worum es eigentlich geht – nämlich um eine deutliche Bevölkerungsabnahme in bestimmten Regionen Sachsens. Wenn der Mensch einfach ginge und der Wolf käme, wäre das vermutlich sogar verkraftbar. Was aber dazwischen passiert und womit wir uns beschäftigen müssen sind zum Teil tiefgreifende Veränderungen in der Bevölkerungszusammensetzung bei denen die Bleiben. Welche Auswirkungen das auf die Infrastruktur und das soziale Leben hat, kann man bereits vielerorts beobachten. Das Problem ist damit nicht nur das quantitative kleiner werden, sondern das qualitative anders werden. Der demografische Wandel beschreibt damit in gewisser Hinsicht auch einen lokalen gesellschaftlichen Wandel. Was passiert mit einer Gesellschaft, wenn sehr viel mehr Alte leben, weniger Kinder geboren werden und selektive Migrationsprozesse ablaufen, die eine Art – sie verzeihen mir diesen Begriff „Restbevölkerung“ zurück lassen? Neben den infrastrukturellen Problemen und vielen weiteren Herausforderungen kann auch das Gemeinwesen langfristig Schaden nehmen, wenn der Wandel nicht aktiv gestaltet wird. Es geht also darum, Bürger einzubeziehen, strukturelle Alternativen zu denken, bürgerschaftliches Engagement und ein Handeln als Empowerment zu fördern. Vor allem hier setzt Soziokultur an. Anspruch einer solchen Kulturarbeit ist es, das Gemeinwesen und damit Gemeinwohl in den Blick nehmen. Gesellschaftliche Veränderungen, auch Krisen, waren und sind immer schon Schwerpunktfelder soziokultureller Arbeit. Das war nicht zuletzt in den Zeiten des bislang größten Wandels - der politischen Wende nach 1989 – so und spielt auch heute und in Zukunft eine Rolle etwa beim Thema Flucht und Asyl. Der demografische Wandel dagegen ist ein schleichender Prozess, der den Verband seit mehreren Jahren beschäftigt und noch weiter beschäftigen wird. Die Soziokultur widmet sich dem Thema, weil ihr Wirken auf Gesellschaft und Gemeinschaft bezogen ist. Kulturarbeit so verstanden zielt darauf, Lebensqualität und Gemeinsinn zu erhalten und zu befördern und die Menschen mittels Kultur- und Jugendarbeit dazu einzuladen, ihr Lebensumfeld selbst zu gestalten. Statt Apathie und Verödung, Resignation und Hinnahme geht es darum, Wandel und Veränderungen auch als Chance zu begreifen, die uns vielleicht tatsächlich klüger und kooperativer machen könnte, wie Christian Schramm das schön gesagt hat. Die Soziokultur hat dazu schon eine Reihe kulturpolitischer Strategien vorgelegt, die sich der kleiner, bunter und älter werdenden Gesellschaft widmen. Dabei geht es zum Beispiel um Beteiligungsstrategien, den Ausbau jugendkultureller und familienfreundlicher Formate bzw. generell um Methoden einer integrativen Kulturarbeit. Konkret auf Jugendliche bezogen sind für das Bleibe- oder Rückkehrverhalten nicht nur strukturelle Gegebenheiten ausschlaggebend. Auch die Attraktivität des Ortes spielt eine große Rolle. Hier kommt der Kultur generell eine große Bedeutung zu, weil sie auf Grund ihrer genuinen Internationalität und Urbanität besonders in den ländlichen Regionen auch ein „Fenster zur Welt“ werden kann. Kurz gesagt, geht es um die Frage: Ist hier was los? Auch das kann in einer kulturpolitischen Strategie münden. Nämlich die Lebenswelten, Bedürfnisse und Wohlfühlfaktoren der Zielgruppen in den Blick zu nehmen, die abwandern. Und das sind zumeist junge Menschen. Durch kulturpolitisches Handeln können Migrationsprozesse auch anders herum unterstützt werden. Nämlich wenn es um einen Zuzug geht. Das war in der Vergangenheit das Synonym der irakischen Landärztin, die natürlich auch auf ein vorbereitetes Gemeinwesen treffen muss, um erfolgreich anzukommen und womöglich sogar Netzwerkmigrationseffekte auszulösen. Dies freilich stellt sich heute in Anbetracht der großen Fluchtbewegung nach Deutschland anders und deutlich schwieriger dar. Im Kern aber ist es ein Anliegen der Soziokultur, integrativ zu arbeiten und mittels Kulturarbeit und einem breiten Kooperationshandeln den Zusammenhalt des Gemeinwesens zu befördern. Das gründet nicht etwa auf einer Multi-Kulti-Romantik sondern folgt einem ganz pragmatischen Verständnis der Zivilgesellschafts- und Gemeinwesenforschung. Denn auch die irakische Landärztin braucht ein Bleibeperspektive, die ganz wesentlich von der Attraktivität des Ortes und der Akzeptanz der Bevölkerung abhängt. Zunächst beschäftigt sich Soziokultur also mit den weichen Auswirkungen des Wandels und sieht ihre Aufgabe darin, Gemeinschaften zu stärken, Identität, Kreativität und Empowerment zu fördern. Uns beschäftigt aber auch die Frage, welche strukturellen Gegebenheiten möglicherweise neu zu denken wären, um den Wandel wenn nicht aufzuhalten, so doch aktiv gestalten zu können. Denn unser Anspruch ist es, auch gesellschaftliche Lagen zu diskutieren und zu reflektieren, sich einzubringen und mit dem Wissen aus der Praxis auch Partner für Politik, Verwaltung und Wirtschaft zu sein. Deshalb kommen wir auch heute zusammen und möchten mit Ihnen gemeinsam die Ergebnisse der noch folgenden Studie diskutieren, über Ansätze nachdenken und mögliche Impulse daraus auch in Handlungsempfehlungen fassen. Konkret beschäftigen wir uns mit der Frage, welche Auswirkungen der demografische Wandel in der Region Ostsachsen auf die Zielgruppe der Jugendlichen zwischen 15 und 25 Jahren hat. Uns interessieren vor allem die Biografiebrüche junger Menschen, die zum Beispiel mit dem Ende der Schulzeit einhergehen und über ein Bleiben, Gehen aber auch Zurückkommen entscheiden können. Es geht also zunächst um die Trias Schule, Ausbildung und Beruf. Erst in einem zweiten Schritt werden die Jugendhilfe und damit verbunden auch das zivilgesellschaftliche Engagement behandelt. Die sogenannten Biografiebrüche durch das Ende oder den Beginn neuer Ausbildungswege sind zunächst normale Meilensteine des Erwachsenwerdens, die im Idealfall nicht als Bruch, sondern als Stufe, Neuanfang oder positive Zäsur erlebt werden. Die Realität zeigt aber, dass nur ein Teil der Jugendlichen diesen fundamentalen Wechsel als positive Zäsur erlebt. Dies auch, weil eine anhaltende Individualisierung und Ausdifferenzierung jugendlichen Lebens eine starke Eigenverantwortung junger Menschen fordert. Darin liegen natürlich Stärken durch nahezu unendliche Möglichkeiten der eigenen Biografiegestaltung. Darin liegen aber auch Schwächen, weil keine klaren Rollen, vorhersehbaren Berufslaufbahnen oder vorgetretenen Wege existieren. Besonders schwierig gestalten sich solche Übergänge bei jungen Menschen, die eher zu den Bildungsverlierern gehören und einen schlechten oder sogar keinen Schulabschluss vorweisen können. Weil die Anzahl einfacher Berufe abnimmt und das symbolische sowie ökonomische Kapital dieser Berufe Richtung Null tendiert, ist ein Unterkommen in solchen Tätigkeitsfeldern: erstens kaum mehr möglich, zweitens sehr unattraktiv und drittens sind Transferleistungen des Staates in solchen Niedriglohnsektoren fast vorprogrammiert. Die Fragen, die sich stellen, sind also: Wie solche Brüche gerade bei bildungsbenachteiligten Jugendlichen begleitet und unterstützt werden können? Welche Rolle zum Beispiel Übergangssystemen und schulischen Ausbildungen zukommt? Worauf der Staat seinen Ressourceneinsatz konzentrieren sollte? Schließlich geht es auch um die Frage, welches Potenzial entsteht, wenn jungen Menschen in der Region Perspektiven eröffnet werden. Es geht also um Bleibeanreize einerseits und die bestmögliche Förderungen der Dagebliebenen andererseits. Dahinter steht vor allem die Erkenntnis, dass wir uns abgehängte Jugendliche eigentlich nicht leisten können und den jungen Menschen Wege ins System zeigen müssen, die sie zu einer Ausbildung und damit Ausübung eines Berufes befähigen. Hier sind Wirtschaft, Staat und Zivilgesellschaft gleichermaßen gefragt, Antworten und Handlungsaufträge zu formulieren, die eine bestmögliche Qualifikation befördern und zugleich Einsatzmöglichkeiten in der Region aufzeigen. Dazu müssen wir auch die Betriebe ins Boot holen. Nach Angabe der IHK konnten im letzten Jahr 80.000 Lehrstellen nicht besetzt werden. Auf der anderen Seite finden jährlich etwa 250.000 Jugendliche in Deutschland keinen Ausbildungsplatz. Die Unternehmen klagen darüber, dass ein nicht unerheblicher Teil der jungen Menschen die notwendigen Qualifikationen nicht mehr mitbringt. Heike Solga, Professorin am Wissenschaftszentrum Berlin, sagt dazu sehr klar, dass „die Betriebe auch viele Jahre verwöhnt worden wären, da es ein Überangebot an leistungsfähigen Jugendlichen gegeben hätte. Heute müssten sie viel mehr investieren, damit ihre Azubis mit guten Noten bestehen.“ (aus DJI Impulse, Nr 110, S 9) Wichtig für die Analyse der unbesetzten Ausbildungsstellen ist auch, dass die Bedingungen von Region zu Region ganz unterschiedlich sind. Hier gibt es vielleicht Ausbildungsplätze aber das Leben ist zu teuer und ein Umzug daher nicht realisierbar, andernorts ist es genau umgekehrt, auch das jeweilige Schulsystem der Länder führt zu unterschiedlichen Befunden und Migration ist nicht gleich Migration. Denn es macht einen Unterschied, ob wir von Landflucht, Ost-Westbinnenwanderung, Abwanderung in Großstädte oder Mittestädte sprechen. Allgemein demografische Fakten sagen damit noch nichts über die spezifische Qualität des Wandels in den Regionen aus, sondern belegen maximal einen Trend. Auch deshalb ist das Projekt wichtig, welches wir heute verhandeln wollen, weil es den Blick in eine konkrete Region legt. Ich glaube, dass die meisten Antworten auf den demografischen Wandel vor Ort gefunden werden müssen - in der Beschäftigung mit konkreten Fällen und Rahmenbedingungen. Ich glaube aber auch, dass die Kommunen und Regionen deshalb zum Vorbild für größere Prozesse werden könnten, wenn sie sich - wie hier vielleicht angestoßen - auf den Weg machen, nach Lösungen, unkonventionellen Wegen oder Denkansätzen zu fahnden. Denn der Schatz jeder Kommune ist die Jugend - die heute vielleicht als Problemfall erscheint aber morgen das Potenzial der Region sein kann. Weiter möchte ich nicht vorweg greifen und nun gleich die Experten, Dr. Albrecht Göschel und Prof. Andreas Hoff sprechen lassen. Am späten Vormittag wird Ihnen dann das Projektteam des Steinhaus Bautzen die Ergebnisse der Studie und daraus resultierende Fragen und Problematisierungen vorstellen. Am Nachmittag können Sie dann einen der drei parallel laufenden Workshops besuchen, die auch auf dem Abschlusspodium noch einmal reflektiert werden. Zunächst aber möchte ich das Wort an Heike Zettwitz - Referatsleiterin in der sächsischen Staatskanzlei - übergeben und an dieser Stelle der sächsischen Staatskanzlei für die Förderung des Projektes „Entwicklungsperspektiven im ländlichen Raum“ danken. Dies übrigens als ein Schulterschluss zwischen Staat und Zivilgesellschaft, um sich der komplexen Thematik des demografischen Wandels anzunähern. Ich wünsche Ihnen einen spannenden und inspirierenden Tag und übergebe das Wort an Heike Zettwitz.
Eröffnungsrede der Konferenz
sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Alexander Ahrens,
sehr geehrte Frau Zettwitz
Tagung zur Zukunft der Kultur in ländlichen Räumen
Um länderübergreifend Themenfelder zu identifizieren und konkrete Lösungsansätze für eine zukunftsweisende Kulturförderung zu finden, veranstalten die Kulturstiftung des Freistaates Sachsen und die Stiftung Braunschweigischer Kulturbesitz 2016 drei Expertenhearings zum Thema »Zukunft der Kultur in ländlichen Räumen«. Im Rahmen der Abschlussveranstaltung in Berlin soll die Bedeutung von Partizipation, Migration und Integration mit dem Ziel der Revitalisierung von weniger dicht besiedelten Gebieten geprüft und debattiert werden. Die im Rahmen der Kongressreihe gesammelten Erkenntnisse, Ideen und Handlungsempfehlungen werden in einer Publikation gebündelt, die dann Verbänden, Politikern und Entscheidungsträgern der öffentlichen Hand zur Verfügung gestellt werden soll.
Termin: 21.09.2016 / Berlin