Interview mit Staatsministerin Frau Dr. Stange zur Soziokultur in Sachsen
14.04.2015; 16:00 – 17:00 Uhr
Dresden; Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst
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LV: Frau Dr. Stange, zunächst eine ganz persönliche Frage. Was bedeutet für Sie Soziokultur? Welche Erfahrungen verbinden Sie damit?
Dr. Stange: Die Soziokultur ist für mich die bunteste und vielfältigste Form der Kultur, die es geben kann. Dort entsteht auch meistens etwas Neues und sehr Kreatives. Das Wichtigste ist für mich, dass die Soziokultur für alle Altersgruppen Beteiligungsformen bereithält.
LV: Wo verorten Sie als Staatsministerin für Wissenschaft und Kunst die Soziokultur in der sächsischen Kulturlandschaft?
Dr. Stange: Die Soziokultur steht einerseits gleichberechtigt neben allen Sparten, andererseits hat sie eine Querschnittsfunktion zu erfüllen. Sie ist nicht das klassische Theater, die klassische bildende Kunst oder die klassische Literatur, sondern es ist immer etwas von allem mit unterschiedlichen Ausführungsformen und Ansprachen für verschiedene Generationen.
Ohne es negativ zu meinen, ist das Besondere an der Soziokultur, dass sie noch etwas Unprofessionelles hat. Dadurch entstehen Verwirklichungsformen, die man im Theaterbereich oder der Bildenden Kunst nicht findet.
LV: Unser Anliegen besteht allerdings gerade darin, der Vielfalt eine Form zu geben. Diese zu professionalisieren, um Synergieeffekte erzielen zu können. Das Management muss daher professionell sein. Aber tatsächlich geht es in der Soziokultur weniger um künstlerische Professionalität.
Dr. Stange: Richtig, aber die Arbeitsweise ist professionalisiert. Der Landesverband hat dafür auch Qualitätskriterien entwickelt, um für Förderstrukturen, Institutionen und Vereine einen Maßstab setzen zu können.
LV: Nicht nur durch diese Instrumente ist die sächsische Soziokultur sehr gut aufgestellt. Es gibt kaum Identitätskrisen, wir haben einen hohen Professionalisierungsgrad und tragen auch weniger ideologischen Ballast mit uns als vielleicht in den alten Bundesländern. Trotzdem hatte man bisher den Eindruck, dass die Soziokultur hinter den klassischen Kulturinstitutionen verschwindet und auf Landesebene meist nur mit erwähnt wurde. Wird Ihr Ministerium der bürgernahen Kulturarbeit mehr Raum geben?
Dr. Stange: Es ist in der Tat so, dass der Blick aus der Landesperspektive etwas schwierig ist, weil sich Soziokultur konkret vor Ort, hauptsächlich in den Kommunen verwirklicht. Das ist ihr Lebenselement. Von daher verbietet es sich, von Landesseite ein Dach darüber bauen zu wollen. Was wir tun können ist, bei allen Rahmensetzungen darauf zu achten, dass die Soziokultur nicht an den Rand gedrängt wird. Gerade große etablierte Institutionen mit einem gewissen Beharrungsvermögen dürfen nicht so dominant sein, dass sie die Soziokultur verdrängen.
Ich möchte ein konkretes Beispiel nennen. Wenn wir über die Novellierung und Ausfinanzierung des Kulturraumgesetzes (KRG) sprechen, spielt die Soziokultur immer eine ganz besondere Rolle. Zwar taucht der Begriff Soziokultur meist nicht auf, aber wenn wir davon sprechen, dass auch etwas Neues wachsen muss, meint das oftmals die Soziokultur. Einige Kulturentwicklungspläne haben das auch verankert, indem sie einen bestimmten Prozentsatz der Mittel ganz bewusst für diese Sparte oder Projekte binden. Der zweite Punkt, bei welchem wir Rahmen setzen können, ist die Finanzierung der Landesverbandsarbeit. Wir werden zukünftig darauf achten, dass die Landesverbände ihre Rolle auch einnehmen können. Da spielt der Landesverband Soziokultur eine besondere Rolle, weil der Verband sehr viel unter seinem Dach vereint und damit noch einmal eine andere Bedeutung hat als zum Beispiel ein Blasorchesterverband.
LV: Das begrüßen wir natürlich. Tatsächlich hat ein Verband zahlreiche Gestaltungsmöglichkeiten, weil er Aufgaben wahrnehmen kann, die das einzelne Mitglied, aber auch die öffentliche Hand gar nicht leisten können.
Dr. Stange: Die Landesverbände haben für uns immer eine doppelte Rolle. Das Eine ist die interne Verbandsarbeit. Sie übernehmen eine zentrale Funktion für ihre Mitglieder. Sei dies durch das Setzen von Qualitätsmaßstäben, Beratungen, Informationstransfer oder Weiterbildungen. Auf der anderen Seite ist es auch für das Ministerium wichtig zu wissen, dass ein Verband für sein Arbeitsfeld spricht, weil wir uns nicht mit jedem Träger oder Verein an einen Tisch setzen können. Je besser ein Verband arbeitet, desto sicherer können wir auch mit seinen Empfehlungen umgehen.
LV: Unseren Verband beschäftigen auch Zukunftsfragen. Was kann Soziokultur für die Gesellschaft leisten? Besonders für den ländlichen Raum bewegt uns der Ansatz der Multifunktionalen Kultureinrichtungen, welche Strukturen auffangen und sinnvoll bündeln könnten. Welche Möglichkeiten gibt es seitens Ihres Ministeriums solche Strukturen zu unterstützen oder zumindest vorzudenken?
Dr. Stange: Das ist ein Punkt, der im Vorfeld des Koalitionsvertrages in der Diskussion für mich eine große Rolle gespielt hat. Wie gelingt es uns jenseits von Theatern und Museen das kulturelle Leben in den ländlichen Räumen aufrecht zu erhalten? Inwiefern öffnen sich Institutionen vor Ort, das man diese auch multifunktional nutzen kann? Die soziokulturellen Häuser haben schon einbesonderes Flair, was schon ein Mehrwert an sich ist. Die Frage ist, wie viele solcher Häuser können, wollen, ja müssen wir uns leisten. Für mich stellt sich auch die Frage nach dem Zusammenspiel von Soziokultur und Kinder- und Jugendhäusern. Denn wir haben ja auch ein Problem, die Kinder- und Jugendhäuser in der Fläche zu erhalten.
LV: Das ist auch uns ein großes Anliegen, da wir beide Bereiche zusammendenken und viele unserer Zentren auch Kinder- und Jugendhäuser sind. Damit entsteht ein Mehrwert für beide Seiten, der aber leider fördertechnisch immer wieder Probleme bereitet.
Dr. Stange: Wenn wir in den nächsten Monaten über die Weiterentwicklung der kulturellen Bildung verhandeln, sollte man das Thema auch mit auf den Tisch legen. Dass der eine über die Kinder- und Jugendhilfe und der andere über die Kultur gefördert wird, ist nicht immer optimal und wir sollten überlegen, ob man das fördertechnisch nicht zusammen bekommt. Dann müssen wir erörtern, wo das Hindernis liegt und ob wir es von Landesebene beseitigen können. Ist es ein gesetzliches Hindernis oder eine Verwaltungsvorschrift?
LV: Manchmal ist es auch nur eine Förderrichtlinie...
Dr. Stange: Genau. Auch bei der Weiterentwicklung der kulturellen Bildung müssen wir solche Dinge verstärkt aufdecken. Gerade mit Blick auf den ländlichen Raum besteht eine große Notwendigkeit für Familien, Kinder und auch für ältere Menschen, Angebote zu erhalten oder Angebote zu schaffen und so gewonnene Strukturen auch multifunktional zu nutzen.
LV: Vom Ende her gedacht könnte ein Multifunktionales Zentrum nicht nur den Kulturbereich bedienen, sondern auch Bildungs- und Sozialbereiche unter seinem Dach vereinen. Das ginge natürlich nicht mit jedem Kulturhaus. Mancherorts gibt es derart gewachsene Räume, dass eine Anbindung anderer Funktionen nicht gelingen würde. Es geht also eher um die Frage, ob so etwas überhaupt funktionieren kann und ob man das nicht modellhaft probieren könnte. Ich erwähne das immer wieder in den Kommunen und versuche auch Bürgermeister für solche Strukturen zu gewinnen. Denn am Ende steht und fällt alles mit dem Personal vor Ort. Die Bürger und vor allem die Träger müssen eine solche Zusammenlegung von Strukturen auch wollen, sonst funktioniert es nicht.
Dr. Stange: Sie sprechen ein wichtiges Problem an. Das Eine sind vielleicht gesetzliche oder fördertechnische Hindernisse, das Andere ist eben auch die Konkurrenz der Vereine untereinander.Deswegen ist es sicher der beste Weg, dies zunächst modellhaft zu erproben und einen Landkreis, eine Kommune und Vereine zu finden, die einen solchen Schritt gemeinsam gehen wollen. Fördertechnisch ist das gar kein Problem. Ich würde den Kulturräumen auch die Verantwortung dafür mit übergeben. Einen ähnlichen Weg sind wir auch bei den Netzwerkstellen Kulturelle Bildung gegangen, die ja auch modellhaft gestartet sind und heute gut in den ländlichen Räumen angekommen sind. So könnte man das auch mit den Multifunktionalen Zentren erproben.
LV: Sie haben bereits die Netzwerkstellen Kulturelle Bildung erwähnt, deren Struktur Sie in Ihrer letzten Amtszeit maßgeblich voran gebracht haben. Welche Ziele haben Sie für diese Amtsperiode für die Kulturelle Bildung?
Dr. Stange: Da sind wir schon im Koalitionsvertrag mutig gewesen und haben uns dafür eingesetzt, dass die kulturelle Bildung mit einem landesweiten Konzept neu aufgestellt werden soll. Wir haben bereits eine Grundstruktur mit der Interministeriellen Arbeitsgruppe (IMAG), die in meiner letzten Amtszeit entstanden ist. Da kulturelle Bildung in verschiedenen Ressorts eine Rolle spielt und damit auch unterschiedliche Förderrichtlinien existieren, braucht es einen Rahmen, in dem man sich über die Ressorts hinweg verständigen kann. Wer fördert was mit welchen Mitteln. Aber diese Grundstruktur reicht nicht aus. Wir müssen auch Förderverfahren vereinfachen. Ich wünsche mir eine Förderrichtlinie Kulturelle Bildung, auf die alle - auch kleine Träger - zugreifen können.
LV: Sie erwähnten gerade die IMAG, deren Idee das ressortübergreifende Handeln ist. Dieser Ansatz beschäftigt uns im Besonderen, da sich die Soziokultur immer zwischen Kultur-, Bildungs- und Sozialarbeit bewegt. Viele unserer Themen sind daher nur ressortübergreifend zu denken – etwa das Thema Inklusion, aber auch der Ausbau von GTA. Sehen Sie Chancen, dass man auf ministerieller Ebene ähnlich der IMAG auch andere Themen gemeinsam bearbeitet?
Dr. Stange: Wenn sich die Interministerielle Arbeitsgruppe darüber verständigt hat, wie wir kulturelle Bildung fassen und gemeinsame Förderstrukturen organisieren können, klärt sich vielleicht schon ein Teil Ihrer Frage. Dann könnte man erfolgreiche Entwicklungen übertragen.
Darüber hinaus kommt es immer auf das konkrete Projekt oder Anliegen an. Nehmen wir das Beispiel Inklusion. Hier gibt es eine klare kommunale Verantwortung für einen Träger, Barrierefreiheit zu ermöglichen. Die Verantwortlichkeiten bei der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention liegen beim Träger, der Kommune oder dem Landkreis. Die Frage ist, habe ich dafür Fördertöpfe innerhalb der Kommune oder schaffe ich diese auf Landesebene. Solche Punkte können wir tatsächlich in einer ressortübergreifenden Arbeitsgruppe besprechen. Ziel wäre es, einen Aktions- und Maßnahmenplan für das Land zu erstellen, mit welchem wir klären, ob und wie Fördermittel eingesetzt werden. Aber ich möchte noch einmal betonen, dass die erste Verantwortung zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention bei dem Träger liegt.
LV: Diesen Weg sind wir bereits gegangen. Unsere Einrichtungen haben sich mit dem Projekt „Barriere? frei!“ konzeptionell dem Thema Inklusion gewidmet. Das vom Landesverband verfasste Handbuch „Barriere? frei!“ gibt dazu eine Schritt für Schritt-Anleitung, wie konkret Barrierefreiheit erreicht werden kann.
Dr. Stange: Ja genau. Das ist in dieser Form sicher einzigartig. Mittlerweile gibt es noch mehr dazu. Neben Empfehlungen für den Bildungsbereich gibt es auch ein Handbuch für Kommunen, um sich des Themas annehmen zu können.
LV: Ich möchte noch einmal auf das KRG zu sprechen kommen. Zweifellos ist dies eine große Errungenschaft für Sachsen. Aufgrund seiner Entstehungsgeschichte ist es aber eher auf Erhalt bestehender Strukturen angelegt als auf Entwicklung. Ohne die Ergebnisse der KRG-Evaluation vorwegnehmen zu wollen, wie werden Sie in Ihrem Haus mit den Ergebnissen umgehen?
Dr. Stange: Zunächst funktioniert das KRG und hat vieles erhalten, was eventuell bei der Prioritätensetzung einer Gemeinde gestrichen worden wäre. Deswegen werden wir an der Grundstruktur des KRG auch nichts ändern, aber an bestimmten Stellen Nachbesserungen vornehmen. Z.B. kam die Mitteilung an die Kulturräume über die tatsächlich zur Verfügung stehende Summe bisher zu spät im Haushaltsjahr. Das kann man relativ leicht verändern, indem man einfach das vorhergehende Jahr der Kulturausgaben als Berechnungsgrundlage verwendet. Das ist eines der brennendsten Probleme.
Ein zweiter Punkt sind die Entscheidungsstrukturen. Das KRG funktioniert nur so gut wie das Vertrauen in die Entscheidungsstrukturen gegeben ist. Auf der einen Seite sind die demokratisch legitimierten Vertreter – die Landräte und teilweise Oberbürgermeister. Die Vorarbeit aber machen die Fachbeiräte. Gerade weil der Topf immer überzeichnet ist, müssen diese nach objektiven und nachvollziehbaren Kriterien entscheiden. Eine Überlegung wird daher sein, ob wir die Fachbeiräte z.B. durch rollierende Verfahren in der Besetzung flexibel halten, damit auch neue Entscheidungsträger eine Chance haben. Das kann im Gesetz klarer definiert werden.
LV: Ich würde sogar ergänzen, dass die eigentliche inhaltliche Arbeit in den Facharbeitsgruppen passiert, die den Beiräten nochmal vorgeschaltet sind. In einem Beirat sind ja verschiedene Sparten vertreten und nicht jeder kann zu jeder Sparte inhaltlich immer etwas beitragen.
Dr. Stange: Ja. Aber beides muss vertrauenserweckend sein. Wenn das Vertrauen in diese Entscheidungsgremien schwindet, dann schwindet auch die Akzeptanz gegenüber deren Entscheidungen.
LV: Ich möchte noch zu einem anderen Thema kommen. In einer „Gläsernen Werkstatt“ zum Thema „Willkommen in Sachsen!? Die Aufgabe von Kultureinrichtungen, Hochschulen und Forschungseinrichtungen auf dem Weg zu einem weltoffenen Sachsen“ haben Sie auch die richtige Frage gestellt, ob Kultureinrichtungen und Hochschulen am Ende vielleicht nur die erreichen, die ohnehin schon weltoffen sind. Diese Frage muss sich die Soziokultur auch immer wieder stellen und dennoch sind die soziokulturellen Zentren vergleichsweise näher am Volk dran als das eine Forschungseinrichtung oder eine Oper sein kann.
Sehen Sie Möglichkeiten mit einer gemeinsamen Aktion zwischen Ihrem Haus und unserem Verband das Ansinnen einer Willkommenskultur in Sachsen zu stärken?
Dr. Stange: Wenn es eine gute Idee gibt, sollten wir das auf alle Fälle tun. Denn die Arbeit muss am Ende vor Ort gemacht werden und dafür muss jede Kultursparte eigene Instrumente finden, um das Thema Weltoffenheit zu transportieren.
LV: Da werden wir sicher auf Sie zukommen, weil uns das Thema sehr bewegt.
Abschließend möchte ich Sie auch nach Ihren Erwartungen oder Wünschen fragen, die Sie an uns als Verband, aber auch an unsere Zentren haben.
Dr. Stange: Einige Punkte haben wir heute ja schon angesprochen, bei denen es nötig ist, dass sich der Landesverband Soziokultur einbringt. Etwa bei der Erstellung einer landesweiten Konzeption Kulturelle Bildung. Hierfür brauchen wir Ihre Expertise und auch Ihre Erfahrungen - gerade wenn es um das Thema Weltoffenheit oder Toleranz geht. Undnatürlich wünschen wir, dass Sie uns immer als kompetenter Ansprechpartner zur Verfügung stehen.
LV: Für die Konzeption Kulturelle Bildung stehen wir in jedem Fall zur Verfügung und ich gehe davon aus, dass wir auch weiterhin ein verlässlicher Partner sind.
Frau Dr. Stange, ganz herzlichen Dank, dass Sie sich die Zeit für uns genommen haben.
Das Interview führte Anne Pallas (Geschäftsführerin Landesverband Soziokultur Sachsen e.V.)