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Pressemitteilung in der Sächsischen Zeitung 18.01.2017

"Bei uns scheitert keine gute Idee an den Finanzen"

Sie hat Millionen mehr für die Kultur – Kunstministerin Eva-Maria Stange spricht im SZ-Gespräch darüber, wie das Geld im ländlichen Raum verteilt wird. Sie wirbt für Kulturbusse und schnelles Internet.

„Sachsen ist ein Bundesland mit höchsten Kulturausgaben. Das ist kein Ruhekissen, sondern Herausforderung an Qualität und Erhalt der Vielfalt im gesamten Land“, sagt Kunstministerin Eva-Maria Stange. Die Ausgaben für Kunst und Kultur steigen 2017 so stark wie seit Jahren nicht mehr – dank des Zuwachses um 12,6 Millionen Euro auf 213,4 Millionen Euro.
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Sächsische Zeitung – SZ-Online.de

Mittwoch, 18.01.2017

  

Sachsen gibt 2017/18 mehr Geld für die Kultur aus. Am Dienstag verkündete Kunstministerin Eva-Maria Stange (SPD), dass vor allem ländliche Kultureinrichtungen vom Millionensegen profitieren. Anlass für die SZ, mit der Ministerin darüber zu reden, warum nicht nur Theater und Museen, sondern auch Zoos, Bus und Bahn sehr wohl ihr Beritt sind.

 

Frau Stange, 70 Prozent der Sachsen leben außerhalb der Zentren, wo relativ wenig Kultur angeboten wird – was ist gegen diese Unterversorgung zu tun?

Widerspruch meine Herren: Von Unterversorgung kann keine Rede sein. Ich finde, man muss die Gesamtheit der Angebote sehen, die hochqualifizierte Soziokultur in der Fläche des Landes als auch die Theater und Orchester in den urbanen Zentren. Der Großteil der Bevölkerung ist ja mobil. So fährt der Görlitzer auch mal in die Semperoper, während der Dresdner die Krabatmühle in Schwarzkollm besucht. Grundversorgung bedeutet für mich nicht die Menge an Angeboten, sondern die Vielfalt und Qualität, die es zu erhalten gilt.

 

Ist es kein Missverhältnis, dass die großen Einrichtungen in Dresden so viele Landesmittel erhalten wie alle anderen Einrichtungen übers Kulturraumgesetz?

Alle Bürger profitieren davon, dass wir in Dresden die Semperoper oder die Kunstsammlungen finanzieren. Unter anderem deshalb, weil die Touristen, die nach Dresden kommen, auch nach Meißen oder ins Erzgebirge fahren, wenn sich diese Regionen gut vermarkten. Wichtig ist, dass es in den ländlichen Regionen ein starkes Bewusstsein für Kultur als Standortfaktor gibt. So legt der Kulturraum Oberlausitz sehr viel Wert darauf, den Kulturraumetat mit eigenen Mitteln anzureichern, um seine facettenreiche Kulturlandschaft zu erhalten und auszubauen. Das geht bei den Theatern los, aber ebenso hat man mit privater Unterstützung Initiativen wie den Kulturbus entwickelt. Dieser fährt verschiedene Einrichtungen an, sei es die restaurierte Klosterkirche in Kamenz oder ein hervorragend funktionierendes soziokulturelles Zentrum, um den Bürgern zu zeigen, was es alles an Angeboten gibt.

 

Haben Sie Verständnis, dass Zoos vom Kulturraumgesetz gefördert werden?

Absolut. Zoos wurden in die Förderung mit aufgenommen, weil sie Orte der Naturbildung und Veranstaltungsorte für alle Generationen sind. Ich finde richtig, dass vor Ort entschieden wird, wofür die Mittel ausgegeben werden: ob fürs Theater, regional bedeutsame Museum oder andere Einrichtungen, die für das Heimatgefühl und Vermittlung kultureller Werte wichtig sind.

 

Als Folge haben fast alle Theater Haustarifverträge mit Gehaltsverzicht und weniger Spieltage. Ist das sinnvoll?

Die Zahlen etwa der Lausitzer Bühnen zeigen: Die Besucher kommen. Die Spielstätten tauschen sich gut aus. Die Qualität ist gut. Ja, die Haustarifverträge sind ein Ärgernis. Seit Jahren fordere ich die Kulturräume auf, sich schrittweise von diesen zu verabschieden. Mit ihnen ist es nicht nur schwierig, gute Künstler zu gewinnen. Laufen die Verträge aus, stehen die Häuser vor enormen Belastungen, weil der inzwischen stark gestiegene Tarif zu zahlen ist.

 

Das Geld reicht also schon fürs Vorhandene nicht, geschweige denn für Neues.

Es müssen auf allen Ebenen Prioritäten gesetzt werden. Der Freistaat beteiligt sich ja über das Kulturraumgesetz an der Finanzierung der Kultur im gesamten Land. Diese Konstruktion verteidige ich vehement. Sie lässt einerseits die Freiheit, unter regionalen Bedingungen zu entscheiden. Ob Kirchenmusik wichtiger ist als der Zoo, das kann ich nicht von Dresden aus festlegen. Auf der anderen Seite lassen wir die Kommunen nicht alleine bei ihrer Kulturfinanzierung. Auf diese Art und Weise blieb die große Vielfalt erhalten. Und einige Kulturräume bauen vor. So hat die Oberlausitz einen Teil der Gelder für neue Initiativen reserviert. Das Land unterstützt diese Bemühungen, indem erneut die Kulturraummittel um drei Millionen auf nunmehr 94,7 Millionen Euro angehoben wurden.

 

Erste Erhöhungen 2005 um zehn Millionen nutzten Kommunen, um Eigenmittel zu senken. Wie verhindert man das?

Genau an dieser Stelle greift das Gesetz. Der Kulturraum muss mindestens ein Drittel der Gesamtausgaben selbst finanzieren, um den Rest vom Freistaat zu bekommen. Nun gibt es auch Räume wie das Erzgebirge/Mittelsachsen, die mehr als das nötige Drittel der Ausgaben selbst finanzieren. Ich hoffe auf deren politische Klugheit, dass sie jetzt mit unserer Erhöhung ihren eigenen Anteil nicht verringern. Dann würden beispielsweise die Mittel reichen, um endlich daranzugehen, die Haustarifverträge schrittweise abzulösen. Ich habe versprochen, dieses Szenarium zu moderieren. Wenn es gelingt, einen Maßnahmeplan zu erstellen, dann werde mich dafür einsetzen, dass wir die Kulturraummittel weiter erhöhen, um den umsetzen zu können.

 

Das ist eine Vision für Kultur im ländlichen Raum. Haben Sie eine zweite?

Keine Sorge, ich habe mehrere. Das Entscheidende für Kultur auch im ländlichen Gebiet ist die gebotene Qualität. Nur wenn diese stimmt, kommen die Besucher, sonst fahren sie weiter – etwa nach Leipzig. Deshalb kann ich nur appellieren, auch Landesangebote zu nutzen, um in Qualität zu investieren. Wir haben beispielsweise die Landesfachstelle für Museumswesen, die helfen kann, Museen so attraktiv zu gestalten, dass sie überregional Interesse finden. Der Kulturraum Oberlausitz-Niederschlesien geht da einen guten Weg. Jede geförderte Einrichtung muss innerhalb von zwei Jahren nachweisen, dass sie von überörtlicher Bedeutung ist. Auf dieser Grundlage wird neu entschieden. Die Evaluierung des Kulturraumgesetzes hat diese Nachweispflicht allen Kulturräumen empfohlen.

 

Sie loben die Soziokultur in Sachsen. Weil sie Ihnen die Arbeit abnimmt?

Nein, weil sie tatsächlich sehr gut aufgestellt ist. Der Landesverband für die Soziokultur hat frühzeitig Standards gesetzt, damit nicht alles, was möglich ist, unters Dach der Soziokultur gepackt wird. Eine unserer Möglichkeiten, Qualität in allen Kulturbereichen zu verbessern, ist, dass wir die Handlungsspielräume der Landesverbände wie Musik- und Literaturrat erweitert haben. Sie erhalten seit 2015/16 mehr Geld, um ihre Arbeit zu stärken. Ebenso neu ist eine Gastspielförderung für freie Theater bei der Kulturstiftung über 120 000 Euro, damit neue Stücke mehr als nur ein paarmal nach der Förderung durch die Kulturstiftung im Land aufgeführt werden können. Zwei neue institutionelle Förderungen kommen 2017 dazu: das Kurzfilmfestival „kurzsuechtig“ in Leipzig und der Verein Meetingpoint Music Messiaen in Görlitz. Wir versuchen mehr als in den Vorjahren, grundlegende Strukturen, die speziell auch der Kultur im ländlichen Raum zugutekommen, zu stärken. Um gut 1,3 Millionen Euro hat der Landtag die allgemeine Kulturförderung aufgestockt.

 

Wie können Menschen ohne Auto zu den Kultureinrichtungen gelangen?

Ja, die Frage der Mobilität ist ein weiteres großes Problem. Wenn zu selten Bus und Bahn fahren, dann ist es für Kinder wie Ältere schwierig, die Einrichtungen zu erreichen. Deshalb gibt es zusätzliche, zweckgebundene Mittel für Mobilität in den Kulturräumen in Höhe von 300 000 Euro. Dafür können sofort Förderanträge im Ministerium gestellt werden. Damit sollen sowohl die Menschen wie auch die Kulturangebote selbst mobiler werden. Ähnlich dem Bildungsticket, das von meinem Kollegen, Verkehrsminister Dulig, verhandelt wird. Es soll über den Radius des territorial begrenzten Schülertickets hinausgehen.

 

Wenn dort aber gar kein Linienbus, gar keine Bahn mehr fährt, was dann?

Dann brauchen wir Angebote wie den Kulturbus, der den Interessierten zur Einrichtung bringt. Wenn Klassen das Deutsche Hygiene-Museum in Dresden oder das Theater in Zwickau besuchen wollen, können sie sich an den Kulturraum wenden, um so einen Kulturbus zu nutzen. Ebenso brauchen wir Mittel, um die Künstler in die Lage zu versetzen, zu ihrem Publikum zu fahren. Die Neue Lausitzer Philharmonie macht für Schüler viele Angebote. Aber die Reisen zu den Schulen kann sie nicht dauerhaft aus ihrem Etat bestreiten. Diese Varianten sollen getestet werden.

 

Eine Kunstministerin sorgt für einen besseren ÖPNV – verkehrte Welt, oder?

Unser Land verändert sich, darauf müssen wir reagieren. Es gibt aber noch genügend andere Baustellen: Das Projekt „Jedem Kind ein Instrument“ ist so erfolgreich, dass wir jetzt die Mittel für die Musikschulen um 425 000 Euro erhöht haben und den kleinen Orchestern den Ankauf von Instrumenten mit 300 000 Euro erleichtern. Immer mehr Kinder möchten ein Instrument spielen. Künftig möchte ich, dass wir„JeKi“ erweitern können, sodass jede Grundschule, die ihren Schülern das Erlernen eines Instrumentes ermöglichen will, am Projekt teilnehmen kann. Genauso positive Aspekte auf die Persönlichkeitsentwicklung kann das Theaterspielen haben. Deshalb unterstützen wir das Projekt „Theater und Schule“. Die Koordinierungsstelle dafür ist seit diesem Jahr an den Landebühnen etabliert. Die professionellen Schauspieler gehen in die Schulen, arbeiten mit den Kindern etwa im Rahmen der Ganztagsangebote. Das Schülertheatertreffen ist wieder in Gang gesetzt worden. Die Kooperation mit den Schulen funktioniert gut.


Wenn Sie schon in anderen Ressorts wildern, dann wäre das mangelnde Breitband-Angebot eine Aufgabe!

Ohne schnelles Internet ist vor allem der ländliche Raum auch kulturell abgehängt. Beim Breitbandausbau hat der freie Markt in vielen Regionen versagt. Deshalb fördert jetzt das Wirtschaftsministerium den Breitbandausbau. Denn wie soll gerade jemand im ländlichen Raum kreativ arbeiten, wenn das Internet zu langsam ist?

 

In Gegenden wie der Lommatzscher Pflege ist das Kulturangebot dünnst. Wie wäre es, gezielt Impulse zu setzen?

Nein, vor Ort muss das Bedürfnis da sein, etwa die Elbland Philharmonie mit ihren guten Angeboten einzuladen. Sie können nichts implementieren, was nicht vor Ort gewachsen ist. Ich nehme Ihre Anregung gern auf, um zu prüfen, warum unsere zahlreichen Fördermöglichkeiten dort nicht wirksam sind. Wir haben ja alle Instrumente. Bisher ist keine gute Idee vor Ort daran gescheitert, dass man keine Finanzierungsmöglichkeit gefunden hat. Allerdings haben wir die Erfahrung gemacht, dass gerade aus dem Kulturraum Meißen/Elbtal/Sächsische Schweiz selber mehr kulturelle Förderung kommen müsste.

 

Das Gespräch führten Bernd Klempnow und Oliver Reinhard.

Interview mit Staatsministerin Frau Dr. Stange zur Soziokultur in Sachsen
14.04.2015; 16:00 – 17:00 Uhr
Dresden; Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst
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LV: Frau Dr. Stange, zunächst eine ganz persönliche Frage. Was bedeutet für Sie Soziokultur? Welche Erfahrungen verbinden Sie damit?

Dr. Stange: Die Soziokultur ist für mich die bunteste und vielfältigste Form der Kultur, die es geben kann. Dort entsteht auch meistens etwas Neues und sehr Kreatives. Das Wichtigste ist für mich, dass die Soziokultur für alle Altersgruppen Beteiligungsformen bereithält.

  

LV: Wo verorten Sie als Staatsministerin für Wissenschaft und Kunst die Soziokultur in der sächsischen Kulturlandschaft?

Dr. Stange: Die Soziokultur steht einerseits gleichberechtigt neben allen Sparten, andererseits hat sie eine Querschnittsfunktion zu erfüllen. Sie ist nicht das klassische Theater, die klassische bildende Kunst oder die klassische Literatur, sondern es ist immer etwas von allem mit unterschiedlichen Ausführungsformen und Ansprachen für verschiedene Generationen.
Ohne es negativ zu meinen, ist das Besondere an der Soziokultur, dass sie noch etwas Unprofessionelles hat. Dadurch entstehen Verwirklichungsformen, die man im Theaterbereich oder der Bildenden Kunst nicht findet.

  

LV: Unser Anliegen besteht allerdings gerade darin, der Vielfalt eine Form zu geben. Diese zu professionalisieren, um Synergieeffekte erzielen zu können. Das Management muss daher professionell sein. Aber tatsächlich geht es in der Soziokultur weniger um künstlerische Professionalität.

Dr. Stange: Richtig, aber die Arbeitsweise ist professionalisiert. Der Landesverband hat dafür auch Qualitätskriterien entwickelt, um für Förderstrukturen, Institutionen und Vereine einen Maßstab setzen zu können.

  

LV: Nicht nur durch diese Instrumente ist die sächsische Soziokultur sehr gut aufgestellt. Es gibt kaum Identitätskrisen, wir haben einen hohen Professionalisierungsgrad und tragen auch weniger ideologischen Ballast mit uns als vielleicht in den alten Bundesländern. Trotzdem hatte man bisher den Eindruck, dass die Soziokultur hinter den klassischen Kulturinstitutionen verschwindet und auf Landesebene meist nur mit erwähnt wurde. Wird Ihr Ministerium der bürgernahen Kulturarbeit mehr Raum geben?

Dr. Stange: Es ist in der Tat so, dass der Blick aus der Landesperspektive etwas schwierig ist, weil sich Soziokultur konkret vor Ort, hauptsächlich in den Kommunen verwirklicht. Das ist ihr Lebenselement. Von daher verbietet es sich, von Landesseite ein Dach darüber bauen zu wollen. Was wir tun können ist, bei allen Rahmensetzungen darauf zu achten, dass die Soziokultur nicht an den Rand gedrängt wird. Gerade große etablierte Institutionen mit einem gewissen Beharrungsvermögen dürfen nicht so dominant sein, dass sie die Soziokultur verdrängen.
Ich möchte ein konkretes Beispiel nennen. Wenn wir über die Novellierung und Ausfinanzierung des Kulturraumgesetzes (KRG) sprechen, spielt die Soziokultur immer eine ganz besondere Rolle. Zwar taucht der Begriff Soziokultur meist nicht auf, aber wenn wir davon sprechen, dass auch etwas Neues wachsen muss, meint das oftmals die Soziokultur. Einige Kulturentwicklungspläne haben das auch verankert, indem sie einen bestimmten Prozentsatz der Mittel ganz bewusst für diese Sparte oder Projekte binden. Der zweite Punkt, bei welchem wir Rahmen setzen können, ist die Finanzierung der Landesverbandsarbeit. Wir werden zukünftig darauf achten, dass die Landesverbände ihre Rolle auch einnehmen können. Da spielt der Landesverband Soziokultur eine besondere Rolle, weil der Verband sehr viel unter seinem Dach vereint und damit noch einmal eine andere Bedeutung hat als zum Beispiel ein Blasorchesterverband.

  

LV: Das begrüßen wir natürlich. Tatsächlich hat ein Verband zahlreiche Gestaltungsmöglichkeiten, weil er Aufgaben wahrnehmen kann, die das einzelne Mitglied, aber auch die öffentliche Hand gar nicht leisten können.

Dr. Stange: Die Landesverbände haben für uns immer eine doppelte Rolle. Das Eine ist die interne Verbandsarbeit. Sie übernehmen eine zentrale Funktion für ihre Mitglieder. Sei dies durch das Setzen von Qualitätsmaßstäben, Beratungen, Informationstransfer oder Weiterbildungen. Auf der anderen Seite ist es auch für das Ministerium wichtig zu wissen, dass ein Verband für sein Arbeitsfeld spricht, weil wir uns nicht mit jedem Träger oder Verein an einen Tisch setzen können. Je besser ein Verband arbeitet, desto sicherer können wir auch mit seinen Empfehlungen umgehen.

  

LV: Unseren Verband beschäftigen auch Zukunftsfragen. Was kann Soziokultur für die Gesellschaft leisten? Besonders für den ländlichen Raum bewegt uns der Ansatz der Multifunktionalen Kultureinrichtungen, welche Strukturen auffangen und sinnvoll bündeln könnten. Welche Möglichkeiten gibt es seitens Ihres Ministeriums solche Strukturen zu unterstützen oder zumindest vorzudenken?

Dr. Stange: Das ist ein Punkt, der im Vorfeld des Koalitionsvertrages in der Diskussion für mich eine große Rolle gespielt hat. Wie gelingt es uns jenseits von Theatern und Museen das kulturelle Leben in den ländlichen Räumen aufrecht zu erhalten? Inwiefern öffnen sich Institutionen vor Ort, das man diese auch multifunktional nutzen kann? Die soziokulturellen Häuser haben schon einbesonderes Flair, was schon ein Mehrwert an sich ist. Die Frage ist, wie viele solcher Häuser können, wollen, ja müssen wir uns leisten. Für mich stellt sich auch die Frage nach dem Zusammenspiel von Soziokultur und Kinder- und Jugendhäusern. Denn wir haben ja auch ein Problem, die Kinder- und Jugendhäuser in der Fläche zu erhalten.

  

LV: Das ist auch uns ein großes Anliegen, da wir beide Bereiche zusammendenken und viele unserer Zentren auch Kinder- und Jugendhäuser sind. Damit entsteht ein Mehrwert für beide Seiten, der aber leider fördertechnisch immer wieder Probleme bereitet.

Dr. Stange: Wenn wir in den nächsten Monaten über die Weiterentwicklung der kulturellen Bildung verhandeln, sollte man das Thema auch mit auf den Tisch legen. Dass der eine über die Kinder- und Jugendhilfe und der andere über die Kultur gefördert wird, ist nicht immer optimal und wir sollten überlegen, ob man das fördertechnisch nicht zusammen bekommt. Dann müssen wir erörtern, wo das Hindernis liegt und ob wir es von Landesebene beseitigen können. Ist es ein gesetzliches Hindernis oder eine Verwaltungsvorschrift?

  

LV: Manchmal ist es auch nur eine Förderrichtlinie...

Dr. Stange: Genau. Auch bei der Weiterentwicklung der kulturellen Bildung müssen wir solche Dinge verstärkt aufdecken. Gerade mit Blick auf den ländlichen Raum besteht eine große Notwendigkeit für Familien, Kinder und auch für ältere Menschen, Angebote zu erhalten oder Angebote zu schaffen und so gewonnene Strukturen auch multifunktional zu nutzen.

  

LV: Vom Ende her gedacht könnte ein Multifunktionales Zentrum nicht nur den Kulturbereich bedienen, sondern auch Bildungs- und Sozialbereiche unter seinem Dach vereinen. Das ginge natürlich nicht mit jedem Kulturhaus. Mancherorts gibt es derart gewachsene Räume, dass eine Anbindung anderer Funktionen nicht gelingen würde. Es geht also eher um die Frage, ob so etwas überhaupt funktionieren kann und ob man das nicht modellhaft probieren könnte. Ich erwähne das immer wieder in den Kommunen und versuche auch Bürgermeister für solche Strukturen zu gewinnen. Denn am Ende steht und fällt alles mit dem Personal vor Ort. Die Bürger und vor allem die Träger müssen eine solche Zusammenlegung von Strukturen auch wollen, sonst funktioniert es nicht.

Dr. Stange: Sie sprechen ein wichtiges Problem an. Das Eine sind vielleicht gesetzliche oder fördertechnische Hindernisse, das Andere ist eben auch die Konkurrenz der Vereine untereinander.Deswegen ist es sicher der beste Weg, dies zunächst modellhaft zu erproben und einen Landkreis, eine Kommune und Vereine zu finden, die einen solchen Schritt gemeinsam gehen wollen. Fördertechnisch ist das gar kein Problem. Ich würde den Kulturräumen auch die Verantwortung dafür mit übergeben. Einen ähnlichen Weg sind wir auch bei den Netzwerkstellen Kulturelle Bildung gegangen, die ja auch modellhaft gestartet sind und heute gut in den ländlichen Räumen angekommen sind. So könnte man das auch mit den Multifunktionalen Zentren erproben.

  

LV: Sie haben bereits die Netzwerkstellen Kulturelle Bildung erwähnt, deren Struktur Sie in Ihrer letzten Amtszeit maßgeblich voran gebracht haben. Welche Ziele haben Sie für diese Amtsperiode für die Kulturelle Bildung?

Dr. Stange: Da sind wir schon im Koalitionsvertrag mutig gewesen und haben uns dafür eingesetzt, dass die kulturelle Bildung mit einem landesweiten Konzept neu aufgestellt werden soll. Wir haben bereits eine Grundstruktur mit der Interministeriellen Arbeitsgruppe (IMAG), die in meiner letzten Amtszeit entstanden ist. Da kulturelle Bildung in verschiedenen Ressorts eine Rolle spielt und damit auch unterschiedliche Förderrichtlinien existieren, braucht es einen Rahmen, in dem man sich über die Ressorts hinweg verständigen kann. Wer fördert was mit welchen Mitteln. Aber diese Grundstruktur reicht nicht aus. Wir müssen auch Förderverfahren vereinfachen. Ich wünsche mir eine Förderrichtlinie Kulturelle Bildung, auf die alle - auch kleine Träger - zugreifen können.

  

LV: Sie erwähnten gerade die IMAG, deren Idee das ressortübergreifende Handeln ist. Dieser Ansatz beschäftigt uns im Besonderen, da sich die Soziokultur immer zwischen Kultur-, Bildungs- und Sozialarbeit bewegt. Viele unserer Themen sind daher nur ressortübergreifend zu denken – etwa das Thema Inklusion, aber auch der Ausbau von GTA. Sehen Sie Chancen, dass man auf ministerieller Ebene ähnlich der IMAG auch andere Themen gemeinsam bearbeitet?

Dr. Stange: Wenn sich die Interministerielle Arbeitsgruppe darüber verständigt hat, wie wir kulturelle Bildung fassen und gemeinsame Förderstrukturen organisieren können, klärt sich vielleicht schon ein Teil Ihrer Frage. Dann könnte man erfolgreiche Entwicklungen übertragen.

Darüber hinaus kommt es immer auf das konkrete Projekt oder Anliegen an. Nehmen wir das Beispiel Inklusion. Hier gibt es eine klare kommunale Verantwortung für einen Träger, Barrierefreiheit zu ermöglichen. Die Verantwortlichkeiten bei der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention liegen beim Träger, der Kommune oder dem Landkreis. Die Frage ist, habe ich dafür Fördertöpfe innerhalb der Kommune oder schaffe ich diese auf Landesebene. Solche Punkte können wir tatsächlich in einer ressortübergreifenden Arbeitsgruppe besprechen. Ziel wäre es, einen Aktions- und Maßnahmenplan für das Land zu erstellen, mit welchem wir klären, ob und wie Fördermittel eingesetzt werden. Aber ich möchte noch einmal betonen, dass die erste Verantwortung zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention bei dem Träger liegt.

  

LV: Diesen Weg sind wir bereits gegangen. Unsere Einrichtungen haben sich mit dem Projekt „Barriere? frei!“ konzeptionell dem Thema Inklusion gewidmet. Das vom Landesverband verfasste Handbuch „Barriere? frei!“ gibt dazu eine Schritt für Schritt-Anleitung, wie konkret Barrierefreiheit erreicht werden kann.

Dr. Stange: Ja genau. Das ist in dieser Form sicher einzigartig. Mittlerweile gibt es noch mehr dazu. Neben Empfehlungen für den Bildungsbereich gibt es auch ein Handbuch für Kommunen, um sich des Themas annehmen zu können.

  

LV: Ich möchte noch einmal auf das KRG zu sprechen kommen. Zweifellos ist dies eine große Errungenschaft für Sachsen. Aufgrund seiner Entstehungsgeschichte ist es aber eher auf Erhalt bestehender Strukturen angelegt als auf Entwicklung. Ohne die Ergebnisse der KRG-Evaluation vorwegnehmen zu wollen, wie werden Sie in Ihrem Haus mit den Ergebnissen umgehen?

Dr. Stange: Zunächst funktioniert das KRG und hat vieles erhalten, was eventuell bei der Prioritätensetzung einer Gemeinde gestrichen worden wäre. Deswegen werden wir an der Grundstruktur des KRG auch nichts ändern, aber an bestimmten Stellen Nachbesserungen vornehmen. Z.B. kam die Mitteilung an die Kulturräume über die tatsächlich zur Verfügung stehende Summe bisher zu spät im Haushaltsjahr. Das kann man relativ leicht verändern, indem man einfach das vorhergehende Jahr der Kulturausgaben als Berechnungsgrundlage verwendet. Das ist eines der brennendsten Probleme.
Ein zweiter Punkt sind die Entscheidungsstrukturen. Das KRG funktioniert nur so gut wie das Vertrauen in die Entscheidungsstrukturen gegeben ist. Auf der einen Seite sind die demokratisch legitimierten Vertreter – die Landräte und teilweise Oberbürgermeister. Die Vorarbeit aber machen die Fachbeiräte. Gerade weil der Topf immer überzeichnet ist, müssen diese nach objektiven und nachvollziehbaren Kriterien entscheiden. Eine Überlegung wird daher sein, ob wir die Fachbeiräte z.B. durch rollierende Verfahren in der Besetzung flexibel halten, damit auch neue Entscheidungsträger eine Chance haben. Das kann im Gesetz klarer definiert werden.

  

LV: Ich würde sogar ergänzen, dass die eigentliche inhaltliche Arbeit in den Facharbeitsgruppen passiert, die den Beiräten nochmal vorgeschaltet sind. In einem Beirat sind ja verschiedene Sparten vertreten und nicht jeder kann zu jeder Sparte inhaltlich immer etwas beitragen.

Dr. Stange: Ja. Aber beides muss vertrauenserweckend sein. Wenn das Vertrauen in diese Entscheidungsgremien schwindet, dann schwindet auch die Akzeptanz gegenüber deren Entscheidungen.

  

LV: Ich möchte noch zu einem anderen Thema kommen. In einer „Gläsernen Werkstatt“ zum Thema „Willkommen in Sachsen!? Die Aufgabe von Kultureinrichtungen, Hochschulen und Forschungseinrichtungen auf dem Weg zu einem weltoffenen Sachsen“ haben Sie auch die richtige Frage gestellt, ob Kultureinrichtungen und Hochschulen am Ende vielleicht nur die erreichen, die ohnehin schon weltoffen sind. Diese Frage muss sich die Soziokultur auch immer wieder stellen und dennoch sind die soziokulturellen Zentren vergleichsweise näher am Volk dran als das eine Forschungseinrichtung oder eine Oper sein kann.
Sehen Sie Möglichkeiten mit einer gemeinsamen Aktion zwischen Ihrem Haus und unserem Verband das Ansinnen einer Willkommenskultur in Sachsen zu stärken?

Dr. Stange: Wenn es eine gute Idee gibt, sollten wir das auf alle Fälle tun. Denn die Arbeit muss am Ende vor Ort gemacht werden und dafür muss jede Kultursparte eigene Instrumente finden, um das Thema Weltoffenheit zu transportieren.

  

LV: Da werden wir sicher auf Sie zukommen, weil uns das Thema sehr bewegt.
Abschließend möchte ich Sie auch nach Ihren Erwartungen oder Wünschen fragen, die Sie an uns als Verband, aber auch an unsere Zentren haben.

Dr. Stange: Einige Punkte haben wir heute ja schon angesprochen, bei denen es nötig ist, dass sich der Landesverband Soziokultur einbringt. Etwa bei der Erstellung einer landesweiten Konzeption Kulturelle Bildung. Hierfür brauchen wir Ihre Expertise und auch Ihre Erfahrungen - gerade wenn es um das Thema Weltoffenheit oder Toleranz geht. Undnatürlich wünschen wir, dass Sie uns immer als kompetenter Ansprechpartner zur Verfügung stehen.

  

LV: Für die Konzeption Kulturelle Bildung stehen wir in jedem Fall zur Verfügung und ich gehe davon aus, dass wir auch weiterhin ein verlässlicher Partner sind.
Frau Dr. Stange, ganz herzlichen Dank, dass Sie sich die Zeit für uns genommen haben.

  

Das Interview führte Anne Pallas (Geschäftsführerin Landesverband Soziokultur Sachsen e.V.)