Alltagsbegleitung
Die Alltagsbegleitung gehört zu den wichtigsten Formen der ehrenamtlichen Betreuung von Flüchtlingen. Eine ungezwungene Atmosphäre unterstützt das Kennenlernen und bietet die Basis für die erste persönliche zwischenmenschliche Begegnung. Ganz nebenbei können Sie mit Ihrem Engagement den Menschen das Zurechtkommen in Deutschland erleichtern. Sie sollten wissen, dass diese Form der Begleitung ausschließlich durch Ehrenamtliche geleistet werden kann. Die Sozialarbeiter/-innen haben meist nicht die Möglichkeit, mit den Flüchtlingen den Stadtteil zu erkunden oder gemeinsame Arztbesuche zu tätigen. Die Begleitung von Flüchtlingen durch Ehrenamtliche findet zudem viel öfter auf Augenhöhe statt als in einer behördlichen Beziehung zwischen Amt und Flüchtling. Auch diese Form des Umgangs bereichert nicht nur den Flüchtling, sondern auch die Ehrenamtlichen selbst. Nicht selten sind durch solche Begleitungen auch Freundschaften entstanden.
Wovon ist die Lebensrealität der Flüchtlinge geprägt und wie geht man damit um?
Isolation
Die Unterbringung in Heimen oder dezentralen Unterkünften ohne Kontakt zur Außenwelt und damit der Bevölkerung sowie die fehlende Teilnahme am öffentlichen Leben führt zu Isolation. Ebenso die Unsicherheit, auf Abruf zu leben. Besonders die ehrenamtliche Alltagsbegleitung kann diese Isolation aufbrechen.
Fluchterfahrung
Traumatische Fluchterfahrungen, Verlust von Heimat und Familie sowie die Unsicherheit im Aufnahmeland führen zu emotionalen und psychischen bis psychosomatischen Belastungen (siehe auch unter Traumatisierung). Ängste, Konzentrationsstörungen oder Lethargie sind keine seltenen Folgen dieser Erfahrung. Die Nähe zur einheimischen Bevölkerung und das Gefühl eines solidarischen Entgegenkommens spielen im Rahmen der seelisch-emotionalen Betreuung eine bedeutende Rolle, um Fluchterfahrungen überwinden zu können und sich in Deutschland sicher zu fühlen.
Nichtstun
Ohne Aufgaben den Tag vergehen zu lassen, abhängig vom Goodwill der Bevölkerung zu sein, nicht mehr als Herr seines Schicksals wirken zu können sind ebenso deprimierende Erfahrungen wie die Fluchterfahrung selbst. Die psychische Belastung dieser Untätigkeit ist nicht zu unterschätzen. Deshalb ist jede Hilfe auch eine Hilfe im Sinne des Empowerments. Wenn Sie als Ehrenamtlicher die Türen der Aufnahmegesellschaft öffnen, die neue Welt erfahrbar machen, fällt es den Menschen viel leichter, sich auch selbst neue Tätigkeiten zu erschließen. Denken Sie deshalb unbedingt daran, auch die Flüchtlinge selbst als Ehrenamtliche zu integrieren, denn Aufgaben stärken!
Kulturschock
Ein sogenannter Kulturschock muss nicht eintreten. Das hängt davon ab, woher die Flüchtlinge kommen und welchen Bildungsgrad sie besitzen. Trotzdem erleben die meisten Flüchtlinge eine für sie fremde Kultur, Sprache und Religion. Anders als bei einer "normalen" geplanten Migration durch Jobwechsel zum Beispiel, sind Flüchtlinge eher unfreiwillige Gäste in Deutschland, die sich damit in einer Bittsteller-Position befinden. Dadurch wird die neue Kultur nicht als "Urlaubsglück" oder Bildungsreise erlebt, sondern in der besonderen Situation der Fluchterfahrung kann das zu Unsicherheiten, Ängsten und Abgrenzungen führen.
Alltagsbegleitung kann hier Türen öffnen, in dem Sie Stück für Stück auf bestimmte Gebräuche, Anstandsregeln und dergleichen hinweisen. Schließlich erleichtert es das Leben, wenn man weiß, welche Umgangsformen in Deutschland normal sind. Sie sollten aber genug Achtsamkeit mitbringen, um einschätzen zu können, inwieweit Sie bestimmte Dinge erklären müssen. Hier gibt es keine allgemeingültige Regel. Beobachten Sie einfach Ihr Gegenüber, begegnen Sie sich auf Augenhöhe und verlassen Sie sich auch mal auf ihr Bauchgefühl.
Im Gegenzug kann von Ihnen nicht erwartet werden, dass Sie all die verschiedenen Anstandsregeln der unterschiedlichen Kulturen kennen, die sie betreuen. Wenn Sie sich auf Augenhöhe begegnen, betrachten sie den kulturellen Austausch einfach als Gegenseitigkeit. Lassen Sie sich auch die Bräuche anderer Kulturen erklären (oder zeigen). Mit dieser Haltung stärken Sie nicht nur die Flüchtlinge, sondern erweitern auch Ihre eigenen Erfahrungen.
Allgemeine Hinweise zur Alltagsbegleitung
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Stärken Sie das Selbstwertgefühl der Menschen - Anerkennung für Fortschritte und Geschaffenes. Geben Sie Hilfe zur Selbsthilfe.
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Helfen Sie Normalität wiederzufinden – Planen Sie Tagesabläufe, suchen Sie zusammen nach neuen Hobbies und Freizeitbeschäftigungen, fördern Sie kreative Betätigungen.
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Hören Sie aktiv zu.
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Unterstützen Sie Rituale – z.B. bei Festen.
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Haben Sie Geduld. Überfordern Sie sich und die Flüchtlinge nicht.
Beispiele für Alltagsbegleitungen
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Begleiten Sie bei Behördengängen und Arztbesuchen.
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Erkunden Sie gemeinsam den Stadtteil, gehen Sie gemeinsam Einkaufen, zeigen Sie was sich wo befindet – vielleicht mit dem Fahrrad oder zu Fuß.
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Gründen Sie Patenschaften für Familien, Einzelpersonen oder unbegleitete junge Flüchtlinge bis 18 Jahren und definieren Sie so einen ganz bestimmten Personenkreis, den Sie begleiten.
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Ermöglichen Sie Begegnung, egal in welcher Form, damit man sich kennenlernen kann – z.B. Tag des offenen Cafés, Basare, Kulturveranstaltungen….
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Unterstützen Sie den Schriftwechsel und die Kommunikation mit Ämtern.
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Erklären Sie die Funktion von technischen Geräten wie Waschmaschine, Kühlschrank, Mikrowelle, Wasserkocher etc.
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Erklären Sie die Mülltrennung in Deutschland.
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Weisen Sie zum Beispiel auf Ruhezeitenregelungen oder Öffnungszeiten von Läden hin.
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Thematisieren Sie unterschiedliche Auffassungen von Geschlechterrollen, Kindererziehung, Lebensrhythmus etc.
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Helfen Sie bei der Wohnungssuche durch Vermittlung von Kontakten zu Vermietern oder privaten Wohnraumanbietern.
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Zeigen Sie Sozialkaufhäuser, in denen Einrichtungsgegenstände günstig erworben werden können - darüber hinaus vielleicht Second Hand Shops. Ein weiteres Angebot sind Umsonstläden.
Auch auf die Möglichkeit der "Tafel"-Nutzung können Sie hinweisen.
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Machen Sie gemeinsame Ausflüge – besuchen Sie zum Beispiel Kulturveranstaltungen. Diesem Bereich haben wir ein extra Kapitel gewidmet, siehe Freizeit und Kultur.
Bei allem gilt:
Wo möglich, beziehen Sie bereits integrierte Migranten ein und helfen Sie Flüchtlingen dabei, sich selbst zu helfen. Unterschätzen Sie dabei auch nicht den Multiplikationseffekt. Denn wer sich auskennt, wird dies auch anderen Flüchtlingen nahe bringen.
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Suchdienst der DRK
Sollten Sie während ihrer ehrenamtlichen Arbeit auf Flüchtlinge treffen, die ihre Verwandten suchen, dann besteht die Möglichkeit sich an den DRK-Suchdienst zu wenden. Er unterstützt Menschen, die von ihnen nahestehenden Personen getrennt wurden. Er hilft bei der Suche nach Angehörigen, stellt den Kontakt zueinander her und führt Familien zusammen.
weitere InformationenBei Suchanfragen von Migrant/-innen und Flüchtlingen, kooperiert der DRK-Suchdienst mit Rotkreuz-/Rothalbmondgesellschaften weltweit und dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz. In Bezug auf Familienzusammenführungen berät der Suchdienst über rechtliche Voraussetzungen. Derzeit gibt es 80 Suchdienst-Beratungsstellen und zwei Suchdienststandorte in Deutschland. Betroffene bekommen in allen Suchdienstangelegenheiten kompetente Beratung und Betreuung. Das internationale Suchdienst-Netzwerk finden Sie unter: www.familylinks.icrc.org zum DRK-Suchdienst
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Quellen:
Shah, Hanne: Flüchtlingskinder und jugendliche Flüchtlinge. In Schulen, Kindergärten und Freizeiteinrichtungen, 2015
Asylzentrum Tübingen e.V.: Flüchtlingskinder fördern von Anfang an – am Beispiel des Tübinger Patenprojekts
Flüchtlingsrat Schleswig Holstein: Fit für Flüchtlinge in Schleswig-Holstein. Handbuch für (Alltags-) BegleiterInnen von Flüchtlingen, 2010
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