Zusammenfassung des Fachtags - Kurzdokumentation
Wir können auch anders! Soziokultur gestaltet Integration.
„Wir sind nicht nur verantwortlich für das was wir tun, sondern auch für das, was wir nicht tun.“ Das Zitat Moliéres fungierte als Motto für den 4. Sächsischen Fachtag Soziokultur, der am 31.05.2016 in Dresden stattfand. „Soziokultur gestaltet Integration“ als programmatischer Titel, gibt den Anspruch und das praktische Handeln der soziokulturellen Arbeit wieder, sich für Geflüchtete einzusetzen und dabei den Dialog mit der Aufnahmegesellschaft zu suchen. Der mit 250 Personen ausgebuchte Fachtag widmete sich den langfristigen Integrationsaufgaben, bei denen vor allem die Zivilgesellschaft eine tragende Rolle spielt. Die Soziokultur in Sachsen versteht sich hier als Impulsgeber etwa in Bezug auf methodische Herangehensweisen, der interkulturellen Kulturarbeit und Bildung, Empowermentstrategien und vor allem als Netzwerk. Sie ist damit ein Anker für vielfältiges bürgerschaftliches Engagement, da sie mit ihren Strukturen und Häusern ganz praktisch die ehrenamtlichen Bündnisse und Initiativen in ihrem Umfeld unterstützt (Knowhow, Räume, Öffentlichkeitsarbeit, Beratung etc.) und darüber hinaus die integrative Arbeit in ihrer Programmatik verankert hat.
Der Zivilgesellschaft selbst kommt dabei eine doppelte Bedeutung zu. Einerseits hat der Tenor der Tagung verdeutlicht, dass die Zivilgesellschaft ganz entscheidende Funktionen bei der Integration Geflüchteter übernimmt, sei dies durch das ehrenamtliche Engagement selbst oder durch die vielen NGOs, die sich im Rahmen von Bündnissen oder Projekten dem Thema widmen. Andererseits geht es auch um die Zivilgesellschaft selbst und deren eigene „Desintegration in das politische System“, was sich im besten Fall durch Politikverdrossenheit ausdrückt, im schlechtesten durch Pegida und Co. Der Sozialwissenschaftler und Integrationsexperte Dr. Wolfgang Vortkamp hatte in seinem Vortrag noch einmal darauf hingewiesen, dass es sich um ein Paradoxon handele, wenn sich ein Teil der herkunftsdeutschen Bevölkerung zunehmend desintegriere und sich von bestehenden Normen und Werten entbinde, während die Migranten sich in genau diese Gesellschaft und das Wertsystem integrieren sollen.
Dass diese Doppelbedeutung von Zivilgesellschaft und den damit verbundenen Integrationsaufgaben eine enorme Bedeutung gerade in Sachsen hat, liegt auf der Hand. Schon in der Eröffnungsrede und den Grußworten der sächsischen Kunstministerin Dr. Eva Maria Stange wurde das Demokratiedefizit in Sachsen deutlich angesprochen und die unrühmliche Rolle, die das Bundesland bisher als Spitzenreiter gewaltvoller Übergriffe auf Migranten, Asylunterkünfte oder Engagagierte eingenommen hat.
Der Fachtag stand somit nicht allein unter dem Motto, wie die ehrenamtliche Integrationsarbeit mit Geflüchteten am besten zu gestalten sei, sondern widmete sich ebenso der Frage, wie der Nährboden, also das gesellschaftliche Klima beschaffen sein müsse, damit Integration überhaupt fußen könne. Dabei komme man nicht umhin, zu akzeptieren, dass Pegida die dunkle Seite der Zivilgesellschaft beschreibt. Neben ihr sind aber eine ganze Reihe zarter Pflänzchen des Engagements für Flüchtlinge auch in Sachsen gewachsen, die sich über Bündnisse, Kultur- und Jugendeinrichtungen, Kirchen und viele engagierte Einzelbürger charakterisieren. Eine Frage des Fachtags war somit, ob hier schon eine soziale Bewegung erwachsen sei und wie man diese stärken könne. Besonders in Sachsen scheint die These zu greifen, dass auf Grund erlebter Anfeindungen und der offensichtlichen Spaltung der Gesellschaft, die ehrenamtlichen Strukturen eine eigene Identität entwickelt haben, die gerade wegen der Abgrenzung zu Teilen der Gesellschaft eine starke Innenbindung besitze. Für Sachsen gelte deshalb besonders, dass diese „zarten Pflänzchen“ eine Unterstützung brauchen, weil sie nicht nur integrativ arbeiten, sondern auch ganz entscheidend die Stimmung und das Klima vor Ort mitbestimmen. Leider gibt es noch immer Berichte von Engagierten, die sich aus Angst vor Repressalien nicht getrauen, ihr Engagement im Familien- und Freundeskreis zu benennen. In diesem Kontext wurden Strategien des Austauschs, des Netzwerkens sowie der Öffentlichkeitsarbeit erörtert, die diesem Engagement einen Unterstützungsrahmen ermöglichen. Eine wichtige Forderung des Fachtags ist damit die Schaffung von Unterstützungsstrukturen – politisch und finanziell – damit aus dem Engagement eine Bewegung wird, die das Land insgesamt voranbringt. Wie dieser Bewegung eine gemeinsame Stimme gegeben werden könne, um als Motor in Sachsen zu fungieren, war zudem eine Frage, die sich durch alle Themen der Fachtagung zog und schlussendlich darauf visierte, das bestehende Engagement zu stärken, um dessen Wirkung zu erhöhen.
Ansatz der kulturpolitischen Erörterung war, aus der Begriffszuschreibung Kulturland Sachsen einen qualitativen Anspruch abzuleiten und eine Kulturgesellschaft zu entwickeln. Das Szenario dazu sei, so die Eröffnungsrede von Anne Pallas, dass ein Ruck, durch das Land gehen müsse und die über 1000 sächsischen Kultureinrichtungen und -vereine damit zu Trägern einer Kulturidee würden, die weit über das enge Begriffsverständnis von Kunst und Kultur hinausginge. Damit stünde auch ein Paradigmenwechsel an, der eine Umdeutung von der Kulturpflege zur Kulturgestaltung beinhalte. Mit dieser Deutungsebene steht die sächsische Soziokultur der kulturpolitischen Gesellschaft sehr nah, die ebenfalls Partner der Tagung war. Kulturpolitik als Gesellschaftspolitik und Demokratiepolitik beschreibt ein Kernverständnis der Soziokultur, dessen Umsetzung aber über die Soziokultur hinaus in kulturpolitisches Handeln zu übersetzen sei.
Der sächsische Ausländerbeauftrage Geert Mackenroth (MdL), deutete mit Blick auf die statistischen Befunde in Sachsen darauf hin, dass die Anzahl der Migranten verkraftbar sei. Vielmehr gehe es jetzt darum, diese Menschen auch in Sachsen zu halten und sich klug den Integrationsaufgaben zu stellen.
Prof. Caroline Robertson-von Trotha, Direktorin des Zentrums für Angewandte Kulturwissenschaft in Karlsruhe, stellte in einem Grundsatzreferat 10 Thesen zur Integration vor. Sie sprach sich vor allem für „eine holistische Perspektive“ aus, die sich aus wissenschaftlichen Analysen, politischen Maßnahmen und zivilgesellschaftlichem Engagement zusammensetzen müsse. Dabei mahnte sie in ihren Thesen auch an, dass bestimmte zentrale Begrifflichkeiten oft zu unhinterfragt übernommen und damit den sehr unterschiedlichen Ausgangsbedingungen in Deutschland nicht gerecht werden. So könne man in Ostdeutschland zum Beispiel nicht von einer postmigrantischen Gesellschaft sprechen und müsse dies bei der Analyse mitdenken. Als Fazit in Bezug auf die Bedeutung der Zivilgesellschaft betonte Prof. Robertson-von Trotha, dass vor allem Begegnung die interkulturelle Verständigung fördere, weil sie stereotype Vorurteile abbaue. Diese Begegnung finde besonders in der Zivilgesellschaft im alltäglichen Umgang statt und habe eine enorm hohe Integrationskraft für beide Seiten. Solche Begegnungschancen und -räume müssen aber organisiert werden und bedürfen folglich einer strukturellen Unterstützung. Als Grundbedingung für das Gelingen von Integration stellte sie noch einmal heraus, dass ein umfassendes Integrationskonzept dazu nötig sei und gab Hinweise, welche Themen ein solcher Masterplan beinhalten müsse.
Als besonders gelungen wurde von den zahlreichen Teilnehmern das Kongressformat empfunden, dass den ganzen Nachmittag andauerte. Neben acht Projektvorstellungen, die beispielhaft aufzeigten, welche verschiedenen Wirkungsformate es in der Integrationsarbeit gibt, konnten die Teilnehmer zwischen sieben Themenrunden wählen, die von der Ehrenamtsarbeit, Sprachförderung, Öffentlichkeitsstrategien über die Rolle von Kunst, Kultur und Jugendarbeit bis zur interkulturellen Kompetenz und Migrantenorganisationen reichten.
Der 4. Sächsische Fachtag Soziokultur war unter der Thematik Migration und Teilhabe eine außergewöhnliche Veranstaltung. Nicht nur dass die Tagung bereits vier Wochen vor Anmeldeschluss ausgebucht war, zeigte das große Interesse an. Auch ungewöhnlich viele Funktionsträger aus sächsischen Kommunen und Ministerien sowie Vertreter aller Parteien nahmen neben vielen Praktikern teil. Dabei kamen Politik und Verwaltung selbst nicht zu Wort, sondern waren bewusst als Teilnehmer eines übergreifenden Dialogs eingeladen worden. Das gewählte Format, ohne die sonst üblichen Podiumsdiskussionen mit Vertreten der Politik, sollte den Anfang einer Auseinandersetzung markieren, indem man sich zunächst ganz pragmatisch den Anforderungen und Lösungswegen stellt. Dadurch kamen die Teilnehmer unabhängig ihrer eigenen Funktion auf Augenhöhe miteinander ins Gespräch. Kommunal- und Landespolitiker diskutierten mit Ehrenamtlichen, Projektemachern, Künstlern und Intendanten, eingeladene Migranten als Experten in eigener Sache mit Kulturschaffenden und der Verwaltung. Das so entstandene Klima des Fachtages wurde durchweg positiv von den Teilnehmern bewertet. Beispielhaft der O-Ton eines Teilnehmers: "Es war ein Balsam für die Seele, so viele Menschen zu sehen, die sich mit dem Thema Integration beschäftigen." Darin mündete auch eine demütige Haltung den anstehenden Aufgaben gegenüber, weil es eben noch kein Patenzrezept für die große Lösung gibt.
Eine Tagung dieser Art bleibt ein spezielles ostdeutsches Format, weil es an anderer Stelle ansetzen muss als vergleichbare Tagungsthemen etwa in den alten Bundesländern. Es ist daher besonders wichtig, dass sich die ostdeutsche Perspektive einen Zugang erarbeitet, der eben nicht das „Postmigrantische“ einer Gesellschaft debattiert, sondern sich auch den Gründen für ein Demokratiedefizit in der Bevölkerung vorurteilsfrei stellt. Dabei gilt es neben den vielen Biografiebrüchen nach 1989 auch das faktische Fehlen einer Demokratieerfahrung von 40 Jahren zu berücksichtigen. Dieser eigene Zugang kann und darf nicht entschuldigen, muss aber die Grundlage für weitere Analysen sein, die möglicherweise im Osten der Republik zu anderen Antworten führen.
Für alle integrationspolitischen Fragen, so kam auch auf der Tagung überdeutlich heraus, ist vor allem Haltung wichtig. Der Chancenwahrnehmer sei eben kein ängstlicher Skeptiker aber auch kein Romantiker, sondern ein pragmatischer Lösungssucher. In diesem Sinne sind alle anstehenden Probleme lösbare Herausforderungen – auch in Sachsen.